Wer muss nach der Trennung oder Scheidung wieviel arbeiten, wenn Kinder zu betreuen sind?

Viele Ehegatten fragen sich vor der Trennung oder Scheidung, ob und wie sie ihr Arbeitspensum nach der Trennung oder Scheidung verändern müssen. Muss beispielsweise eine Mutter von fünfjährigen Zwillingen, die bisher nicht erwerbstätig war, nach der Scheidung wieder eine Arbeit suchen? Darf ein Vater, der in einem Vollzeitpensum erwerbstätig ist und Unterhaltsbeiträge bezahlt, sein Arbeitspensum reduzieren und damit sein Einkommen mindern? Solche und ähnliche Fragen beschäftigen viele Paare vor oder nach der Trennung.

Mit dem Bundesgerichtsentscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 wurde die bisherige Praxis im Schweizer Unterhaltsrecht grundlegend verändert. Neu müssen Mütter oder Väter, welche die Kinder hauptsächlich betreuen, ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % eine Erwerbsarbeit ausüben. Ab Eintritt des jüngsten Kindes in die Sekundarstufe sei ihnen gemäss Bundesgericht ein Arbeitspensum von 80 % zuzumuten, nach dem 16. Geburtstag des jüngsten Kindes ein 100 %-Pensum.

Nachstehend finden Sie detaillierte Informationen zu den Folgen des Bundesgerichtsentscheides.

Wer muss nach der Scheidung wie viel arbeiten?

Wann mussten hauptbetreuende Eltern bisher ins Erwerbsleben einsteigen?

Das Schweizer Unterhaltsrecht ist geprägt von einer Einzelfallgerechtigkeit. Was im einen Fall gilt, muss für einen anderen Fall nicht verbindlich sein. Dennoch gibt es Leitentscheide des Bundesgerichts, welche die Richtung weisen.

Lange Zeit lautete die Haltung des Bundesgerichts, dass der Elternteil, der aufgrund der Kindererziehung nicht erwerbstätig ist, nach dem 10. Geburtstag des jüngsten Kindes mit einem 50%-Arbeitspensum ins Erwerbsleben einzusteigen hatte und ab dem 16. Geburtstag des jüngsten Kindes in einem Vollzeitpensum arbeiten musste. Landläufig ist in diesem Zusammenhang von der 10/16-Regel die Rede.

Gingen vor der Trennung bereits beide Ehegatten einer Erwerbstätigkeit nach, wurde ihnen in der Regel zugemutet, das bisherige Pensum auch nach der Trennung beizubehalten. Wurde das Arbeitspensum ohne äusseren Druck reduziert, wurden die Unterhaltsbeiträge in der Regel nicht angepasst.

Folgen des Bundesgerichtsentscheides vom 21. September 2018

Mit Entscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 änderte das Bundesgericht seine Praxis grundlegend. Das Bundesgericht reagierte mit diesem Entscheid auf die Tatsache, dass seit dem 1. Januar 2017 die Unterhaltsbeiträge in jedem Kanton anders berechnet werden, obwohl sich alle Gerichte auf dasselbe Recht stützen. Mit diesem und den angekündigten Entscheiden möchte das Bundesgericht im Bereich Unterhaltsrecht eine einheitliche Methodik entwickeln und verbindlich vorgeben. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die kantonalen Gerichte ihre Praxis diesem Leitentscheid anpassen.

Nach dem weiterhin geltenden Kontinuitätsprinzip prüft ein Gericht als erstes, wie die Ehegatten bisher gelebt haben. Können sich die Ehegatten nicht auf eine Neuregelung für die Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit der Eltern nach der Trennung oder Scheidung einigen, wird in erster Linie auf das bisher Gelebte abgestellt. Wer hat wieviel betreut? Wer ging welchem Arbeitspensum nach? Ist die finanzielle Situation so eng, dass nach der Trennung beide möglichst schnell einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen? Falls wie im Beispiel oben ein Elternteil zugunsten der Kinderbetreuung gar nicht erwerbstätig ist, wird im Normalfall vom hauptbetreuenden Elternteil ab der obligatorischen Beschulung des jüngsten Kindes (je nach Kanton Kindergarten oder Schuleintritt) ein 50%-Pensum verlangt, ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in die Sekundarstufe I wird dem hauptbetreuenden Elternteil ein 80%-Pensum zugemutet und ab dem 16. Geburtstag des jüngsten Kindes ein Vollzeitpensum. Im Begriff «Normalfall» ist bereits enthalten, dass von diesen Grundsätzen abgewichen werden kann, wenn gute Gründe vorliegen. Gute Gründe könnten z.B. ein fehlendes Drittbetreuungsangebot vor Ort, eine grosse Anzahl Kinder oder Kinder mit speziellen, zeitintensiven Bedürfnissen sein. Weiterhin wird zu prüfen sein, ob die hauptbetreuende Person aufgrund ihrer Gesundheit, Ausbildung und der Arbeitsmarktlage das erwartete Arbeitspensum umsetzen kann. Gemäss Bundesgerichtsentscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 sind zur Umsetzung des neu verlangten Arbeitspensums nach Möglichkeit grosszügige Übergangsfristen zu gewähren.

Was bedeutet das Bundesgerichtsurteil für die Trennung unverheirateter Elternpaare?

Obwohl der Entscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 eine Ehescheidung betrifft, ist er auch für die Trennung nicht verheirateter Paare als Leitentscheid wichtig. Im Normalfall wird auch von nicht verheirateten, hauptbetreuenden Müttern und Vätern aufgrund des Entscheides erwartet, dass sie früher und in einem höheren Pensum ins Erwerbsleben einsteigen. Bereits ab dem Alter von ca. vier Jahren wird eine Drittbetreuung der Kinder als der Betreuung durch die Eltern gleichwertig betrachtet.

Was gilt bei gemeinsamer Betreuung der Kinder durch beide Elternteile?

Der Entscheid 5A_384/2018 vom 21. September 2018 bezieht sich auf Elternpaare, die im klassischen Rollenmodell leben. Ein Elternteil ist hauptsächlich berufstätig, der andere betreut die Kinder und verzichtet dabei ganz oder zu einem grossen Teil auf ein eigenes Erwerbseinkommen. Sind Elternpaare bereits vor der Trennung in ähnlichem Umfang erwerbstätig und in die Kinderbetreuung involviert, sind die Unterhaltsbeiträge anders zu berechnen.

Mehr Infos zur Unterhaltsberechnung

Seit Juli 2014 erhalten die Eltern in der Regel ein gemeinsames Sorgerecht. Informationen zu möglichen Kinderbetreuungsmodellen und zur Berechnung des Kindesunterhalts im Zusammenhang mit dem Betreuungsmodell finden Sie unter folgenden Links:

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