Ärztliche Behandlung – welche Rechte stehen dem Kind zu?
Welche Rechte stehen einem urteilsfähigen Kind zu? Wie unterscheidet man ein urteilsfähiges von einem urteilsunfähigen Kind? Darf ein 15jähriges Mädchen ohne Einwilligung und Kenntnis der Eltern die Antibabypille beziehen? Kann ein Elternteil bei gemeinsamem Sorgerecht alleine bestimmen, dass der 10jährige Sohn mit Ritalin behandelt wird? Dürfen Ärztinnen und Ärzte gegenüber den Eltern einer 16jährigen jungen Frau verschweigen, dass und weshalb die junge Frau bei ihnen in Behandlung ist? Hat ein nicht sorgeberechtigter Elternteil das Recht, sich bei Ärztinnen und Ärzten über anstehende Behandlungen der Kinder zu informieren?
In einem Referat für den Kinder- und Jugenpsychiatrischen Dienst KJPD des Kantons Thurgau hat sich Rechtsanwältin Nina Lang mit den juristischen Fragen auseinandergesetzt, die sich im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung von Kindern stellen. Nachstehend können Sie die Präsentation als PDF herunterladen. Das Dokument kann als Zusammenfassung der rechtlichen Grundlagen dienen.
Zwischen Fürsorge und Autonomie
Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen steht immer im Spannungsverhältnis zwischen Fürsorge für das Kind und Autonomie des Kindes. Wird einem Kind zugestanden, dass es die Chancen und Risiken eines geplanten Eingriffs oder einer geplanten Behandlung verstehen, die längerfristigen Folgen realistisch einschätzen und sich selbstbestimmt – ohne grösseren Einfluss von aussen – für oder gegen den Eingriff oder die Behandlung entscheiden kann, ist das Kind für diesen konkreten Eingriff urteilsfähig.
Urteilsfähige Kinder dürfen nach entsprechender Aufklärung selbstbestimmt entscheiden, ob die Behandlung oder der Eingriff durchgeführt werden soll. Bei Bejahung der Urteilsfähigkeit müsste auch ein unvernünftiger Entscheid des urteilsfähigen Kindes akzeptiert werden.
Kinder sind altersgemäss in einen Eingriff oder eine Behandlung miteinzubeziehen, auch wenn sie noch nicht urteilsfähig sind.
Behandlung gegen den Willen einer 13-Jährigen – Urteil des Bundesgerichts
Im Bundesgerichtsurteil BGE 134 II 235 hatte ein 13-jähriges Mädchen Schmerzen am Steissbein. Ihre Mutter besuchte mit ihr einen Osteopathen, der eine Behandlung vorschlug. Das Mädchen lehnte die Behandlung ab. Die Mutter wies den Osteopathen an, die Behandlung gegen den Willen der Tochter durchzuführen. Das Mädchen wurde in der Folge gemäss dem Auftrag der Mutter behandelt.
Das Bundesgericht verurteilte den Osteopathen, weil für diese Frage die Urteilsfähigkeit des 13-jährigen Mädchens bejaht wurde.